Wenn ein Streit mit dem Chef zum Herzstillstand führt
Ein Unfall am Arbeitsplatz muss kein „plötzliches äußeres Ereignis“ sein, sondern kann auch als alltägliches Geschehen wie eine Auseinandersetzung mit dem Vorgesetzten definiert werden. Das entschied jetzt das Bundessozialgericht in einer mündlichen Verhandlung.
Stress, Zoff und hohe Belastungen am Arbeitsplatz, die zu gesundheitlichen Konsequenzen führen, können durchaus als Arbeitsunfall gewertet werden. Das hat das Bundessozialgericht in einem mündlichen Verhandlungstermin vom 6. Mai (B 2 U 15/19 R) so festgestellt. Ein emotional geführtes Gespräch könne als Auslöser durchaus reichen.
Heftiger Streit als Auslöser für Herzattacke
In dem zu entscheidenden Fall klagt eine Bankkauffrau gegen einen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Nach einem unerfreulichen Streit mit ihrem Vorgesetzten war die Frau zusammengebrochen und hatte einen Herzstillstand erlitten. Erst der gerufene Notarzt konnte sie wiederbeleben. Gegen die Herzrhythmus-Störungen implantierten die Ärzte im Krankenhaus dann einen Defibrillator.
Hintergrund dieser dramatischen Zuspitzung war die vorangegangene Auseinandersetzung über einen Fehlbetrag in der Bankfiliale in Schleswig-Holstein, für die die Klägerin arbeitet. Der dafür wohl verantwortliche Mitarbeiter stand fest und der aushilfsweise eingesetzte Filialleiter wollte den Vorgang melden.
Die Bankkauffrau hielt das nicht für notwendig und wollte ihren Kollegen schützen. Hierüber kam es wohl zu einem heftigen Streit mit dem Vertretungschef der Niederlassung.
Bundesrichter ergänzen Unfallbegriff um neue Dimension
Nach diesem Vorfall und ihrem Zusammenbruch beantragte die Betroffene die Anerkennung eines Arbeitsunfalls bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, die lehnte ab. Die Begründung: Ein Arbeitsunfall werde durch ein „plötzliches äußeres Ereignis“ hervorgerufen. Das sei hier nicht der Fall gewesen.
Diese Sichtweise als auch die Entscheidungen der Vorinstanzen zu der Klage teilten die Bundesrichter in Kassel nicht. In der mündlichen Verhandlung erklärten sie, dass sich der Unfallbegriff nicht nur über ein außergewöhnliches Ereignis definiere. Ein von außen auf den Körper einwirkendes Geschehen oder ein alltäglicher Vorgang könnten ausreichen.
Dieser Argumentation folgend, liege ein Unfall auch dann vor, wenn sich durch Wahrnehmung (Sehen, Hören, Schmecken, Tasten, Riechen) der physische Zustand des Verletzten ändere. Ein solches Ereignis habe mit dem intensiven Gespräch zwischen der Klägerin und ihrem Chef stattgefunden.
Auslöser muss in der beruflichen Tätigkeit liegen
Voraussetzung für die Anerkennung eines Unfalls am Arbeitsplatz sei aber, dass das Streitgespräch der beruflichen Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Bankkauffrau müsse also einer tatsächlichen oder zumindest vermuteten Pflicht aus ihrem Arbeitsverhältnis nachgekommen sein.
Das Landessozialgericht Schleswig-Holstein soll jetzt im nächsten Schritt klären, ob die Klägerin davon ausgehen konnte, dass sie mit ihrem Einsatz für den Kollegen Verpflichtungen aus ihrem Arbeitsvertrag nachgekommen war oder sonstige Interessen ihres Arbeitgebers vertreten hatte.
Quelle : Versicherungsjournal 10.05.2021
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