Die Krankenkasse und die Uneindeutigkeit äußerer Geschlechtsmerkmale
Personen, die sich weder als Frau noch als Mann fühlen, haben keinen Anspruch auf die Übernahme von Behandlungskosten für Eingriffe durch ihren gesetzlichen Krankenversicherer, welche die Uneindeutigkeit der äußeren Geschlechtsmerkmale erhöhen sollen. Das hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 29. Juni 2022 entschieden (L 5 KR 1811/21).
Eine mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geborene 24-jährige Person war ursprünglich als Frau im Geburtsregister eingetragen worden. Sie ließ im Oktober 2019 ihren Vornamen und die Geschlechtsangabe im Geburtsregister ändern. Dort wurde nunmehr als Geschlecht „ohne Angabe“ eingetragen.
Niederlage in zweiter Instanz
Das reichte ihr jedoch nicht aus. Zwei Monate später beantragte sie bei ihrem gesetzlichen Krankenversicherer, die Kosten eines operativen Entfernens ihrer Brüste zu übernehmen. Die lehnte den Antrag ab.
Die Person ließ sich ihre Brüste daher im Mai 2020 auf eigene Kosten entfernen. Den dafür aufgewendeten Betrag in Höhe von rund 5.000 Euro klagte sie gegenüber ihrer Krankenkasse ein. Damit hatte sie in erster Instanz bei Sozialgericht zunächst Erfolg.
Das Gericht war unter Hinweis auf die Rechtsprechung für transgeschlechtliche Personen der Meinung, dass die für diese geltenden Ausnahmen bezüglich Operationen in den gesunden Körper unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes auch für nicht-binäre Personen gelten müssten. Die Versicherung habe das Übernehmen der Kosten daher zu Unrecht abgelehnt.
Doch dem folgten die Richter des von der Kasse in Berufung angerufenen Landessozialgericht Baden-Württemberg nicht. Sie hoben das Urteil der Vorinstanz auf und wiesen die Klage als unbegründet zurück.
Keine Krankheit
Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die versicherte Person allein schon deshalb keinen Anspruch auf eine Kostenerstattung, weil keinerlei körperliche Auffälligkeiten vorliegen würden, welche mit einer Beeinträchtigung von Körperfunktionen verbunden sei.
Es könne offenbleiben, ob es sich bei einer Störung der Geschlechtsidentität um eine Krankheit handele. Denn aus der Rechtsprechung des Bundes-Verfassungsgerichts ergebe sich, dass intersexuelle Menschen allein wegen der Unmöglichkeit, sie dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zuzuordnen, nicht im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung krank seien.
Im Übrigen komme ein Anspruch auf Krankenbehandlung in Form von Eingriffen in intakte, nicht in ihrer Funktion beeinträchtigte Organsysteme lediglich in Ausnahmefällen in Betracht. Das gelte „insbesondere bei Abweichungen vom Regelfall, die entstellend wirken, oder bei medizinisch gebotener Geschlechtsangleichung in Fällen des Transsexualismus“ – so das Landessozialgericht.
Diese Voraussetzungen lägen in dem zu entscheidenden Fall nicht vor.
Subjektiv empfundene Belastung
In der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien Ansprüche auf Behandlungsmaßnahmen, die darauf abzielten, die Uneindeutigkeit der äußeren Geschlechtsmerkmale zu erhöhen. Das gelte auch bei Intersexualität beziehungsweise Geschlechts-Identitätsstörungen.
Die klagende Person habe ausschließlich eine subjektiv empfundene Belastung durch die Eigenwahrnehmung ihrer Brüste geltend gemacht und sich einen flachen Oberkörper gewünscht. Negative Reaktionen der Mitmenschen habe sie nicht beschrieben. Sie wollte weder als Frau noch als Mann erkennbar sein und ihren Körper durch die Operation an ihre nicht-binäre Identität angleichen.
Unter diesen Voraussetzungen könnte die Entfernung der Brüste nach Ansicht der Richter jedoch unter Umständen eher zu einem männlichen Erscheinungsbild führen. Das würde dem nicht-binären Verständnis der klagenden Person jedoch nicht entsprechen. Die beklagte Krankenkasse habe daher auch aus diesem Grund ihre Unterstützung bei der Brust-Operation verweigern dürfen.
Quelle : Versicherungsjournal 21.07.2022
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