Leistungen aus Betriebsschließungsversicherungen durch behördliche Anordnung
BSV: Versicherungskammer muss über eine Million Euro zahlen
2.10.2020 – Ein Gastwirt hat im Streit um Leistungen aus der Betriebsschließungs-Versicherung aufgrund der Corona-Pandemie in vollem Umfang Recht bekommen. Die Bedingungen der Assekuranz seien intransparent. Daher muss der Versicherer zahlen.
Seit Monaten tobt der Streit um die Betriebsschließungs-Versicherung (BSV). Versicherte Unternehmen fordern Geld, weil ihr Betrieb während des Lockdowns von den Behörden geschlossen wurde. Viele Assekuranzen behaupten, die Corona-Pandemie-Schließungen wären nicht versichert (VersicherungsJournal Archiv).
Nun hat das Landgericht München I mit Entscheidung vom 1. Oktober 2020 (12 O 5895/20) den Betreibern des Augustiner-Kellers gegen die Versicherungskammer Bayern (VKB) in vollem Umfang Recht gegeben.
Versicherungskammer verliert vor Gericht gegen den Augustiner-Keller
„Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet“, so das Gericht. Die VKB wird zur Zahlung von 1.014.000 Euro sowie Verzugszinsen an den Gastronomen verurteilt. Versichert waren nämlich auf Basis des Umsatzes 33.800 Euro für 30 Tage. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig.
„Die Auffassung des Gerichts respektieren wir, können diese jedoch nicht teilen“, sagte ein Sprecher der VKB. Der Versicherer will nach dem Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe die Möglichkeiten der Berufung nutzen.
Urteil mit Wirkung für viele Assekuranzen
Das ist ein wegweisendes Urteil für alle betroffenen Unternehmer“, kommentierte Dr. Marc Herzog, Fachanwalt für Versicherungsrecht von der Kanzlei Dr. Herzog Rechtsanwälte Rosenheim, das nun ergangene Urteil.
Es gebe nun deutlich mehr Klarheit für Betriebe, die eine Betriebsschließungs-Versicherung abgeschlossen haben und sich gegen eine Nichtzahlung der Versicherer wehren wollen.
Dem zu entscheidenden Fall lagen Versicherungs-Bedingungen zugrunde, wie sie in vergleichbarer Formulierung von vielen Versicherungs-Gesellschaften verwendet worden sind. Trotzdem weist der Rechtsanwalt darauf hin, dass jeweils der Einzelfall überprüft werden muss.
„Es kommt immer auf die individuellen Bedingungen der BSV-Versicherung an“, so Herzog.
Klausel in den Versicherungs-Bedingungen war intransparent
„Erfreulicherweise haben mit dem Landgericht München nun bereits mehrere Gerichte klargestellt, dass die unklaren Formulierungen in den Versicherungs-Bedingungen intransparent und daher unwirksam sind“, sagte Klaus H. Kohake, ebenfalls Fachanwalt für Versicherungsrecht von der Kanzlei Dr. Sandhaus und Kollegen.
So argumentieren viele Versicherer, dass das neue Coronavirus zur Zeit der Betriebsschließungen nicht im maßgeblichen Infektionsschutzgesetz aufgeführt gewesen ist. Somit sei der Schutz ausgeschlossen.
Dazu hat nun das LG München I im Urteil festgestellt: „Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift in ihrer Tragweite erkennbar ist, die aber dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht bekannt ist, ist intransparent.“
Coronavirus muss nicht gelistet sein
Um den tatsächlichen Umfang des Versicherungsschutzes zu erfassen, müsste der Versicherungsnehmer sonst letztlich die Auflistung in den Versicherungs-Bedingungen Wort für Wort mit dem geltenden Gesetzestext abgleichen. „Dies ist dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht zumutbar“, erläutert Boris-Jonas Glameyer von der Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte.
Richtungsweisend ist das Urteil des Landgerichts München I aus Sicht der Kanzlei Michaelis deshalb, da viele Bedingungswerke der verschiedenen Versicherungs-Gesellschaften genau diese Problematik enthalten.
Sie würden nämlich den vollständigen Gesetzestext für den Versicherungsumfang zitieren, dann aber in den Versicherungs-Bedingungen die im Gesetz enthaltenen Krankheiten nur teilweise wiedergeben. Dann werde behauptet, die wiedergegebenen Krankheiten und Krankheitserreger stellten eine abschließende Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger dar.
Glameyer: „Solche Versicherungs-Bedingungen halten einer AGB-rechtlichen Prüfung nicht stand und dürften unwirksam sein.“
Tragweite für die Betriebsschließungs-Versicherung über den Fall hinaus
Damit habe das Urteil über den hier entschiedenen Einzelfall hinaus ganz erhebliche Tragweite für eine Vielzahl vergleichbarer Fälle anderer Assekuranzen.
Deutlich hat das Landgericht zudem gemacht, dass ein Außerhausverkauf, wenn er für den Restaurantbetrieb lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft ist, keine unternehmerische Alternative darstelle, auf die sich der Versicherungsnehmer verweisen lassen muss.
„Ich gehe davon aus, dass in künftigen Fällen mögliches „To go-Geschäft“ während des Corona-Lockdowns auf seine wirtschaftliche Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden wird“, so Herzog.
Keine Anrechnung staatlicher Leistungen
Richtungsweisend ist zudem die Feststellung des Gerichts, dass staatliche Leistungen wie das Kurzarbeitergeld oder Soforthilfen nicht auf die Versicherungsleistung anrechenbar sind.
Die Versicherungsleistung steht dem Versicherungsnehmer in voller Höhe zu. „Damit stützt das Gericht unsere Argumentation, dass nicht der Steuerzahler oder Sozialversicherungs-pflichtige Beitragszahler für Teile der Forderungen gegenüber Betriebsschließungs-Versicherern aufkommen sollte“, sagt Dr. Mark Wilhelm von der Wilhelm Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB.
BDVM: Ohrfeige für die bayerische Lösung
Nach Einschätzung von Dr. Hans-Georg Jenssen, dem geschäftsführenden Vorstand des Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler e.V. (BDVM), ist die Entscheidung an dieser Stelle im Nachhinein „quasi wie eine Ohrfeige“ für die sogenannte bayerische Lösung (Archiv).
Das Angebot, das die VKB, die Allianz Versicherungs-AG, die Haftpflichtkasse VVaG und die Zurich Versicherungen ins Leben gerufen hatten, sieht vor, dass 15 Prozent des vereinbarten Tagessatzes aus Kulanz geleistet werden.
Nach Berechnung der Initiatoren würden staatliche Corona-Hilfen in der Regel rund 70 Prozent des durchschnittlichen wirtschaftlichen Schadens bereits ausgleichen. Die Hälfte des restlichen Schadens wollen die Versicherer „freiwillig“ übernehmen. Diese Argumentation ist nach dem aktuellen Urteil nun vollkommen hinfällig.
Kein Ausstieg aus Abgeltungsvereinbarung möglich
Trotzdem sieht es für Unternehmen, die die „bayerische Lösung“ angenommen haben, nun düster aus. „Sie mussten eine Abgeltungsvereinbarung unterschreiben und haben nun keine Klagemöglichkeit mehr“, erläutert Jurist Herzog.
Er rät allen anderen betroffenen Versicherungsnehmern, deren Anbieter nach wie vor die Regulierung der versicherten BSV-Schäden verweigern, die Ansprüche schnell von einem spezialisierten Rechtsanwalt prüfen zu lassen.
Immerhin würden die Gerichte in Sachen BSV sehr schnell entscheiden. Herzog rechnet damit, dass eine mögliche Berufung vor dem Oberlandesgericht München innerhalb der nächsten drei Monate entschieden wird.
Mittlerweile haben mehrere tausend Unternehmen bereits ihren Versicherer verklagt. Allein die Kanzlei Wilhelm vertritt rund 1.000 versicherte Gastronomen und Hoteliers. Es dürfte also weiterhin eine regelrechte Prozesslawine geben.
Ist eine Kanzlei zu wenig?
Kritisch sieht der BDVM, dass die Assekuranzen sich nach seiner Erkenntnis überwiegend von einer einzigen Kanzlei vertreten lassen.
„Da stellt sich die Frage, ob bei den unterschiedlichen Bedingungen der Versicherer und durchaus unterschiedlicher Interessenlagen der einzelnen Versicherer eine Kanzlei überhaupt so viele Unternehmen, im Hinblick auf denkbare Interessenkonflikte vertreten kann“, so Jenssen.
„Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Vergangenheit sollte die Versicherungswirtschaft alles vermeiden, was auch nur im Entferntesten den Anschein der Absprache oder eines Zusammenwirkens begründen könnte“, warnt der Verbandsjurist.
Quelle : Versicherungsjournal 02.10.2020
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