Krankentagegeld auch über medizinische Arbeitsunfähigkeit hinaus ?
Nach der Klage eines Piloten haben sich die Gerichte mit einer Klausel befasst, die die „Fluguntauglichkeit“ der „Arbeitsunfähigkeit“ gleichstellt. Ergebnis: Auch der Zeitraum, der zwischen dem Entfall einer „medizinischen“ Arbeitsunfähigkeit beziehungsweise Fluguntauglichkeit und der behördlichen Feststellung der wiedererlangten Flugtauglichkeit liegt, ist gedeckt.
Im Januar 2017 erlitt der spätere Kläger, ein Flugkapitän, eine Beinvenenthrombose. Deswegen und wegen einer mehrmonatigen Therapie war er ab dem 23. Januar 2017 arbeitsunfähig.
Sein Versicherer zahlte zunächst Krankentagegeld, stellte die Zahlungen aber mit Ablauf des 25. Oktober 2017 ein. Begründung: Nicht aufgrund medizinischen Befundes habe der Kläger seine Berufstätigkeit nach diesem Zeitpunkt nicht mehr ausüben können – vielmehr habe lediglich ein erforderliches „Medical“ gefehlt, also ein Zeugnis des Luftfahrt-Bundesamtes über die Flugtauglichkeit. Dieses lag erst am 4. Dezember 2017 vor.
Feststellung der Flugtauglichkeit
Der Flugkapitän forderte daraufhin gerichtlich weiteres Krankentagegeld bis zum 15. Dezember 2017: Bis zu diesem Datum sei er bedingungsgemäß arbeitsunfähig erkrankt gewesen und habe der Fliegerarzt Arbeitsunfähigkeit bescheinigt.
Seinen Beruf habe er zudem bis zur Feststellung der Flugtauglichkeit durch das Luftfahrt-Bundesamt nicht ausüben können.
Ausübung untrennbar mit behördlicher Tauglichkeitsbeurteilung verbunden
Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt sprach ihm Krankentagegeld bis 3. Dezember 2017 zu (7 U 96/20). Den einschlägigen Klauseln zufolge ende die Deckung nicht, wenn aus medizinischer Sicht keine Arbeitsunfähigkeit mehr vorliegt.
Um wieder flugtauglich zu werden, sei nicht nur die Heilung der Thrombose nötig gewesen, sondern auch die Bescheinigung der Flugtauglichkeit durch das Luftfahrt-Bundesamt und die Ausstellung des entsprechenden Zeugnisses, stellte das OLG fest. Dabei verwies es auf die Gleichstellung von Fluguntauglichkeit und Arbeitsunfähigkeit in Abs. 3 der Tarifbedingungen.
Die Erweiterung der Versicherung auf die Flugtauglichkeit habe aus Sicht des Piloten den erkennbaren Zweck, den Versicherungsschutz den speziellen Bedingungen der kommerziellen zivilen Luftfahrt anzupassen. Ohne Flugtauglichkeitsbescheinigung dürfe ein Pilot nicht fliegen und sei damit als Berufspilot arbeitsunfähig.
Fazit: Um bei Erkrankung ausreichend abgesichert zu sein, reiche die Genesung nicht; auch die behördliche Genehmigung sei nötig, um wieder als arbeitsfähig zu gelten.
Zeitliche Lücke zwischen Genesung und Bescheinigung gedeckt
Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte sich in seinem Urteil vom 27. November 2024 (IV ZR 42/24) hinter das OLG.
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer dürfe die Klausel so verstehen, dass sie auch die zeitliche Lücke zwischen Entfall einer medizinischen Arbeitsunfähigkeit und/oder Fluguntauglichkeit aus medizinischen Gründen und Wiedererlangen der Flugtauglichkeit infolge der behördlichen Entscheidung deckt.
„Bis zu dieser behördlichen Entscheidung besteht für ihn nämlich Fluguntauglichkeit im Sinne der Tarifbestimmung.“
Keine Festlegung auf rein medizinisches Begriffsverständnis in AVB
Dass „Fluguntauglichkeit“ ausschließlich medizinisch zu beurteilen wäre, „wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer […] schon mangels entsprechender Klarstellung im Bedingungswerk nicht in Erwägung ziehen“, hielt der BGH unter anderem weiter fest.
Ob wegen fortbestehender Gesundheitseinschränkungen oder wegen Fehlens einer erforderlichen amtlichen Gesundungsbescheinigung: Der Versicherte erleide einen Verdienstausfall, der ursächlich auf die krankheitsbedingte Einschränkung seiner flugmedizinischen Tauglichkeit zurückzuführen ist.
„Hätte die Beklagte den Begriff der Fluguntauglichkeit ausschließlich nach medizinischen Kriterien verstehen wollen, hätte sie dies in der Tarifklausel für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer unzweifelhaft klarstellen müssen […].“
Quelle : Versicherungsjournal 17.12.2024
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