Schwerer Crash beim Überholen auf dem Radweg
Ein Fahrradfahrer, der auf einem Radweg einen sichtlich unsicher fahrenden Radler überholt, muss sich in der Regel ein Mitverschulden anrechnen lassen, wenn es beim Überholen zu einem Unfall kommt. Das hat das Oberlandesgericht Oldenburg mit einem am Montag veröffentlichten Urteil vom 21. September 2021 entschieden (2 U 121/21).
Der Kläger war mit seinem Fahrrad auf einem innerstädtischen Radweg unterwegs. Aus der Einfahrt eines Häuserblocks kommend, bog vor ihm der Beklagte mit seinem Velo auf den Weg ein, um in die gleiche Richtung zu fahren.
Weil der Einbiegende langsam und unsicher fuhr, setzte der Kläger wenig später zum Überholen an. Das sollte sich als Fehler erweisen. Denn genau in diesem Augenblick machte der Beklagte einen großen Schlenker nach links. Dabei kam es zu einer Kollision der beiden Radler.
Der Überholende stürzte zu Boden und verrenkte sich eine seiner Schultern. Er zog sich außerdem einen Sehnenabriss zu. An einen zweitägigen Krankenhausaufenthalt schloss sich ein langwieriger Genesungsprozess einschließlich einer Physiotherapie an. Der Mann verklagte den anderen Fahrradfahrer daher auf Zahlung von Schadenersatz sowie eines Schmerzensgeldes.
Teilerfolg in zweiter Instanz
Das in erster Instanz mit dem Fall befasste Oldenburger Landgericht hielt die Klage für unbegründet. Es war der Meinung, dass der Kläger den Beklagten nicht hätte überholen dürfen. Denn es habe keine Möglichkeit bestanden, auf dem Radweg einen erforderlichen Sicherheitsabstand von 1,5 bis zwei Meter einzuhalten. Der Kläger habe sich die Folgen seines Sturzes daher selbst zuzuschreiben.
Dieser Argumentation wollte sich das von dem Kläger in Berufung angerufene Oberlandesgericht der Niedersächsischen Stadt nicht anschließen. Es hielt die Klage für zumindest teilweise begründet.
Ausreichend Platz zum Überholen
Nach Ansicht des Berufungsgerichts setzt ein Überholen auf einem Radweg nicht generell voraus, dass der von der Vorinstanz geforderte Sicherheitsabstand besteht. Denn das würde bedeuten, dass sich Fahrradfahrer auf Radwegen so gut wie nie überholen könnten. Es komme daher auf die Umstände des Einzelfalls an.
In dem entschiedenen Fall sei der Radweg nur optisch von einem parallel verlaufenden breiten Fußweg abgegrenzt gewesen. Es habe folglich ausreichend Platz für ein Überholmanöver bestanden.
Überholenden trifft Mitverschulden
Durch seinen Linksschwenk habe der Beklagte gegen das Rücksichtnahmegebot von § 1 StVO verstoßen. Danach müssten sich Verkehrsteilnehmer so verhalten, dass kein anderer gefährdet oder behindert werde. Dem Mann sei daher ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls anzulasten.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts trifft den Kläger jedoch ein hälftiges Mitverschulden. Denn die unsichere Fahrweise des Einfahrenden sei für ihn erkennbar gewesen. Darauf habe er sich bei seinem Überholmanöver offenkundig nicht ausreichend eingestellt, zum Beispiel, indem er den Beklagten durch Klingeln gewarnt hätte.
Uneinheitliche Rechtsprechung
Wäre der Fall vor dem Karlsruher Oberlandesgericht verhandelt worden, hätte der Kläger möglicherweise keinen Teilerfolg erzielt. Denn in einem Beschluss vom 30. Mai 2016 kam das Gericht zu einem anders gelagerten Ergebnis. Hier hieß es, dass dann, wenn auf einem Radweg ein Überholen mit ausreichendem Seitenabstand nicht möglich ist, der schnellere Radler gegebenenfalls darauf verzichten muss, an dem Vorausfahrenden vorbeizufahren.
Das ergebe sich aus § 5 Absatz 4 Satz 2 StVO. Danach seien Verkehrsteilnehmer grundsätzlich dazu verpflichtet, beim Überholen einen Sicherheitsabstand einzuhalten, der eine Gefährdung anderer ausschließt.
Das gelte auch im Verhältnis zwischen zwei Fahrradfahrern. Zwar gebe es keine festen Regeln, welcher Abstand ausreichend ist. Ein überholender Radler müsse aber mit mehr oder weniger unvermeidbaren Schwankungen eines Vorausfahrenden rechnen (VersicherungsJournal 26.1.2017).
Quelle : VersicherungsJournal 29.09.21
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