Defektes Notfallbremssystem: Wer haftet für die Unfallfolgen?
Auf einer Schnellstraße hatte während freier Fahrt unerwartet der Notfallbremsassistent eines Fahrzeugs ausgelöst. Die Ursache hierfür lag in einem technischen Defekt. In diesem Fall kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, wer für eine dadurch verursachte Kollision verantwortlich ist. Das geht aus einem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. März 2021 hervor (23 U 120/20).
Die Klägerin war mit ihrem Personenkraftwagen auf einer Autobahn unterwegs, als ohne ersichtlichen Grund plötzlich das Notfallbremssystem ihres Autos auslöste. Weil ein Lkw-Fahrer hinter ihr damit nicht gerechnet hatte, fuhr er auf den Pkw auf.
Den ihr dadurch entstandenen Schaden machte die Frau gegenüber dem Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer des Lastkraftwagens geltend. Das begründete sie damit, dass dieser den Unfall trotz des abrupten Bremsmanövers hätte verhindern können, wenn er den nötigen Sicherheitsabstand zu ihrem Fahrzeug eingehalten hätte. Das sei jedoch nachweislich nicht der Fall gewesen.
Dieser Argumentation schloss sich das Frankfurter Oberlandesgericht an. Es gab der Klage überwiegend statt.
Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung
Nach Überzeugung der Richter wäre es zu dem Auffahrunfall nicht gekommen, wenn der Fahrer des Lkw zu dem Pkw einen Mindestabstand von 50 Metern eingehalten hätte. Das hatte auch ein vom Gericht befragter Sachverständiger bestätigt.
Dieser hatte zudem festgestellt, dass der nötige Sicherheitsabstand nicht gewahrt wurde. Der Mann habe den notwendigen Abstand vielmehr ohne zwingenden Grund um etwa 30 Prozent unterschritten.
Das abrupte Abbremsen des betreffenden Autos sei unstreitig auf das Versagen einer technischen Einrichtung zurückzuführen, an welchem die Autofahrerin keine Schuld treffe. Der Auffahrende hafte hingegen aus Verschulden. Denn er habe gegen § 4 Absatz 3 StVO verstoßen.
Danach müsse nämlich der Lenker eines Lastkraftwagens mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 Tonnen auf Autobahnen zu vorausfahrenden Fahrzeugen einen Mindestabstand von 50 Metern einhalten. Dies gelte, wenn die Geschwindigkeit mehr als 50 Kilometer pro Stunde betrage.
Ansprüche gegenüber Pkw-Hersteller?
Unter Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge kam das Gericht zu dem Schluss, dass eine Haftungsverteilung von zwei Dritteln zu einem Drittel zu Lasten des Lkw-Fahrers angemessen sei.
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. Über die Frage, ob die Klägerin wegen des technischen Defekts des Notfallbremssystems möglicherweise auch Ansprüche gegenüber dem Hersteller ihres Fahrzeugs geltend machen kann, hatte das Gericht nicht zu entscheiden.
Quelle : Versicherungsjournal 30.03.2021
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