Unklarer Unfallhergang. Wann die Kasko trotzdem leisten muss.
Ein Kfz-Halter wollte Leistungen von seiner Kfz-Kaskoversicherung für einen Unfallschaden am Pkw in Anspruch nehmen. Die Polizei wurde zu dem Unfall nicht hinzugezogen. Widersprüchliche Zeugenaussagen und ungeklärte Fragen zum Schadenhergang führten dazu, dass der genaue Unfallhergang nicht mehr im Detail rekonstruierbar war. Das Oberlandesgericht Karlsruhe entschied dennoch, dass eine Kaskoversicherung auch dann leisten muss, wenn sich der Unfallhergang nicht vollständig aufklären lässt, sofern sicher ist, dass die Schäden nur durch einen Unfall im versicherten Zeitraum entstanden sein können.
Eine Kfz-Halterin hatte für ihren Pkw neben der Kfz-Haftpflicht- auch eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen. Mit ihrem Wagen geriet ihr Ehemann in der Nacht innerorts ein Stück auf die Gegenfahrbahn und kollidierte mit einem entgegenkommenden Auto.
Beide Autos wurden dabei beschädigt. Der Ehegatte entschädigte den Unfallgegner noch am Unfallort mit 1.500 Euro in bar. Die Polizei wurde nicht verständigt.
Kaskoversicherer vermutete eine mögliche Unfallmanipulation
Am nächsten Tag übersandte die Pkw-Halterin ihrem Versicherungsmakler eine Schadenanzeige mit einem Unfallbericht. Das von ihr vier Tage nach dem Unfall beauftragte Abschleppunternehmen zog trotz entgegenteiliger Anweisung die Polizei hinzu. Diese hielt in einem Vorkommnisbericht fest, dass eine Unfallflucht ausgeschlossen werden könne und sich die Unfallbeteiligten vor Ort geeinigt sowie ihre Personalien ausgetauscht hätten.
Der Kaskoversicherer ließ ein Schadensgutachten anfertigen. Daraufhin forderte die Kfz-Halterin die darin ermittelten fiktiven Reparaturkosten von ihrem Kasko-Anbieter. Der verweigerte jedoch die Leistung, da er an dem geschilderten Unfallhergang zweifelte und eine mögliche Unfallmanipulation vermutete. Daraufhin verklagte die Frau den Kaskoversicherer, die Entschädigungspflicht auf der Grundlage des Gutachtens anzuerkennen.
Leistungsanspruch trotz Zweifel am konkreten Unfallhergang
Laut Gutachten lagen der Wiederbeschaffungswert bei 26.400 Euro brutto, der Restwert bei 15.390 Euro brutto und die Reparaturkosten bei knapp 14.100 Euro netto. Die Kfz-Halterin forderte unter anderem eine Schadensleistung für die festgestellten Reparaturkosten in Höhe von knapp 14.100 Euro.
Vor dem Landgericht (LG) Baden-Baden wurden sowohl der Ehemann der Klägerin als auch der angebliche Unfallgegner als Zeugen gehört. Zudem untersuchte ein Sachverständiger den Unfallwagen der Frau.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Kfz-Schäden wie geschildert entstanden sein könnten. Zwar blieben wegen widersprüchlicher Aussagen des Gatten Zweifel am geschilderten Unfallhergang. Anhaltspunkte für eine bewusste Manipulation sah das Gericht aber nicht. Das LG sprach der Klägerin jedoch nur eine Versicherungsleistung von 11.010 Euro zu.
Differenz aus Wiederbeschaffungswert und Restwert
Die Urteilsbegründung: Da keine vollständige Reparatur erfolgt war – nach eigenen Aussagen der Betroffenen wurde der Unfallschaden nur unvollständig repariert –, ist der Anspruch auf die sogenannte Totalschadenabrechnung begrenzt. Nach den Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB), die der Kaskoversicherung zugrunde liegen, bekommt der Versicherte in solchen Fällen nur die Differenz aus Wiederbeschaffungswert und Restwert.
Im genannten Fall sind das 11.010 Euro, also 26.400 Euro Wiederbeschaffungswert abzüglich 15.390 Euro Restwert.
Erfolglose Berufung von Klägerin und beklagtem Versicherer
Sowohl die Klägerin als auch der beklagte Kfz-Versicherer legten dagegen Berufung ein. Die Pkw-Halterin erachtete die vom LG zugestandene Leistung für zu niedrig und forderte erneut die vom Gutachter angegebenen Reparaturkosten in Höhe von fast 14.100 Euro netto.
Der Kfz-Versicherer wiederum wollte mit seiner Berufung erreichen, dass die Klage gegen ihn insgesamt abgewiesen wird. Er war der Ansicht, dass bei Gesamtbetrachtung aller Umstände nicht feststeht, dass es sich um einen versicherten Schadenfall handelt. Es gäbe laut Beklagtem Ungereimtheiten, die auch auf ein von den Beteiligten vorgetäuschtes Schadenereignis schließen ließen.
Versicherter Unfall
Insgesamt folgte das für die Berufungen zuständige Oberlandesgericht Karlsruhe mit dem Urteil (12 U 12/24) vom 15. Oktober 2024 im Wesentlichen den Ausführungen und Entscheidungen der Vorinstanz. Unter anderem kürzte das OLG jedoch die Versicherungsleistung der Klägerin wegen des vertraglich in der Kaskoversicherung vereinbarten Selbstbehalts von 300 Euro geringfügig auf 10.710 Euro.
Auch die beklagte Kfz-Kaskoversicherung hatte mit ihrer Berufung keinen Erfolg. Das OLG stellte klar: Es ist für die Entscheidung unerheblich, ob sich der Unfall exakt so zugetragen hat, wie es die Klägerin vorträgt. Denn das OLG sei davon überzeugt, dass es sich um einen versicherten Unfall handelte.
Das Gericht geht nach der Beweislage davon aus, dass sich der Schaden im Rahmen der von der Klägerin genannten Umstände – also wann, wie und wo der Unfall geschehen ist – ereignet hat. Zumal ein Bild vorliegt, das Splitter des Fahrzeugs auf der Fahrbahn am angegebenen Unfallort zeigt.
Wenn der Unfallhergang unklar ist
„Kann der Sachverhalt im Einzelnen nicht aufgeklärt werden, steht jedoch fest, dass die Schäden nach Art und Beschaffenheit nur auf einem Unfall im versicherten Zeitraum beruhen können, so reicht diese Feststellung an sich aus, um die Einstandspflicht des Versicherers zu begründen“, so der Leitsatz des OLG-Urteils.
„Dies gilt selbst dann, wenn sich der Versicherungsfall so, wie er geschildert wurde, nicht ereignet haben kann“, wie das OLG auf Verweis der gängigen Rechtsprechung ergänzt.
Allerdings wäre die Klage abzuweisen, „wenn feststeht, dass der behauptete Unfall, aus dem Ansprüche gegen den Versicherer hergeleitet werden, an der angegebenen Unfallstelle und unter den angegebenen Bedingungen nicht stattgefunden haben kann, sondern nur anderswo und unter anderen Bedingungen“.
Das heißt, könnte festgestellt werden, dass sich der Kfz-Schaden weder am angegebenen Unfallort noch unter den angegebenen Bedingungen ereignete, wäre der Kfz-Versicherer leistungsfrei.
Kein vorsätzlich herbeigeführter Schaden nachweisbar
Im zu verhandelnden Schadensereignis gingen alle Instanzen davon aus, dass es sich um einen versicherten Unfall handelte. Eine Unfallmanipulation, also ein vorsätzlich herbeigeführter Unfall – wie vom Kfz-Versicherer vermutet – konnte nämlich dem Ehemann der Klägerin nicht nachgewiesen werden.
Die Richter stellten klar: Die Indizien wie eine fehlende Unfallmeldung an die Polizei, eine Barzahlung an den Unfallbeteiligten und widersprüchliche Aussagen des Kfz-Fahrers, die auf einen gestellten Unfall hindeuten könnten, genügten nicht für den rechtlich erforderlichen Nachweis.
Einen solchen Nachweis muss jedoch der Versicherer für eine Leistungsverweigerung erbringen, wie aus dem Urteilstext hervorgeht: „Die (behauptete) vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles ist allein als Risikoausschluss nach § 81 VVG zu würdigen und insoweit durch den Versicherer zu beweisen.“
Das Urteil stärkt die Position von Versicherten
Fazit bei unklaren Unfallhergängen: Versicherte müssen zwar den Schaden zeitlich und örtlich eingrenzen können, aber diesbezüglich nicht jede Einzelheit des Unfalls lückenlos beweisen. Es genügt dabei, wenn ein Schaden zweifelsfrei durch ein versichertes Ereignis während eines versicherten Zeitraums entstanden ist – auch wenn sich der exakte Ablauf nicht rekonstruieren lässt.
Zudem müssen Versicherer, die einen absichtlich herbeigeführten Unfall vermuten, dies beweisen und dabei mehr vorbringen als reine Verdachtsmomente.
Marion Zwick
Quelle : Versicherungsjournal 22.04.2025
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